Coaching-Wahn

Lässt du dich noch coachen oder lebst du schon?

In den letzten Wochen fällt es mir extrem auf: Alle paar Tage bekomme ich Freundschaftsanfragen von Personen die ich nicht kenne. Alle paar Tage habe ich neue gesponserte Anzeigen von Coaches in meinen Neuigkeiten – egal ob bei Facebook oder Instagram. Welche Bereiche dabei gecoacht werden? So ziemlich alle die man sich vorstellen kann. Das Angebot ist gerade in den letzten Jahren unheimlich gewachsen: Es gibt nichts was es nicht gibt.

Personal Trainer sind mir nicht neu, genauso wenig Ernährungsberater. Neu ist, dass man die meisten Coachings und Trainings mittlerweile auch online absolvieren kann. Neu sind für mich auch die ganzen Lebensberater, von denen ich neuerdings überall lese. Glücklich in 5 Schritten, 10 kg weniger in 14 Tagen, Selbstbewusst in 10 Wochen. Es ist erschreckend leicht geworden seine „Produkte“ bzw. Coachings an den Mann/die Frau zu bringen. Einige dieser Coachings und Trainings bestehen aus Videos, Videos die für eine breite Masse von Menschen produziert werden. Sollte bei einem Coaching nicht der Mensch im Vordergrund stehen? Sollte nicht viel mehr auf persönliche Situation, Wünsche, Fragen eingegangen werden? Mag sein, dass dies bei Einzelcoachings berücksichtigt wird, aber wie soll das bei den vorgefertigten Videos für eine breite Masse gehen?

Der Grund warum Coachings und Trainings immer beliebter werden ist die Tatsache, dass wir von den Medien und der Gesellschaft immer wieder gesagt bekommen wir seien nicht in Ordnung wie wir sind. Alles kann und muss optimiert werden. Wir sind nie gut genug, da gibt es Luft nach oben. Du könntest so viel besser sein! Mach was aus dir. Werde fitter, schöner, schlanker! Ach, und wenn du schon mal dabei bist – wie wäre es mit einem Coaching das dein Leben verändert? Bei aller Liebe, das beste Coaching nutzt überhaupt nichts, wenn der Inhalt nicht verinnerlicht und gelebt wird.

Immer wieder sehe ich Aktionen bei denen Coaching-Bücher mittlerweile zu Selbstkosten zu erwerben sind. Aber weiß man den Wert eines solchen Buches überhaupt zu schätzen? „Dieses Buch kann dein Leben verändern!“ Ja, k a n n. Aber das tut es nicht, wenn es nur in meinem Schrank rumsteht und ich nicht dazu komme es zu lesen. Man muss es schon lesen, ihm eine Chance geben. Und vorallem das befolgen was darin steht – wenn es denn helfen soll. Viele vergessen, dass der reine Konsum des Buches noch gar nichts bewirkt oder bewegt. Veränderung braucht Zeit, Geduld und den unbeugsamen Willen durchzuhalten.

Blöd ist auch, dass in fast jedem Buch etwas anderes steht. Nach welchem Buch geht man denn jetzt vor? Es bringt meiner Meinung nach überhaupt nichts, wenn man nach dem Lesen dieser ganzen Bücher so verwirrt ist, dass man am Ende gar nichts mehr weiß. Einige Ansätze sind sicherlich gut – welcher Weg eingeschlagen wird sollte jedoch jeder für sich entscheiden. Nicht jeder Ansatz ist auch für jeden geeignet – auch wenn die Autoren sicherlich anderes behaupten würden. Natürlich – sie wollen schließlich verkaufen.

Ich verkaufe hier nichts, nicht mal ein bisschen. Ich bekomme nichts dafür, wenn ich Produkte, Bücher oder Filme bewerbe. Ich vermeide es, weil ich meinen Blog nicht als Werbeplattform sehen möchte. Wenn ich euch etwas empfehle, dann tue ich das im Übrigen nur, wenn ich davon überzeugt bin. Dies nur am Rande, weil es gerade zum Thema passt.

Zurück zu den Coachings: Vor ein paar Tagen bin ich während einer Werbepause auf ein Sex-Coaching aufmerksam geworden. Es gibt mittlerweile nichts mehr, was es nicht gibt. Besonders das Angebot für die Soft Skill-Erweiterung/Verbesserung ist in den letzten Jahren unheimlich gestiegen.

Wenn man das Ganze verfolgt, wie ich es tue, dann bekommt man leicht den Eindruck, dass sich mittlerweile jeder Coach nennen darf. Es wundert mich nicht, dass es auf diesem Gebiet viele schwarze Schafe gibt, die sich ihr Wissen selbst angeeignet haben durch Bücher anderer. Es gibt diverse Fernlehrgänge mit denen man sich als Coach qualifizieren kann. Je nachdem in welchem Bereich man coacht muss man schließlich Einiges aus den verschiedensten Bereichen wissen. Ein paar der Fernlehrgänge setzen voraus, dass man bereits Führungserfahrung mitbringt – also nichts mit Quereinsteiger à la „Ich mach mal ’nen Kurs und bin dann Coach!“

Angenommen ich hätte einen solchen Coachinglehrgang mitgemacht – wie bescheuert wäre es denn mit Leuten konfrontiert zu sein, die dasselbe machen wie ich aber unter Umständen nicht gut genug ausgebildet sind? Für meinen Beruf würde ich mir das nicht wünschen, aber gerade im Bürobereich lässt es sich nicht vermeiden. Jeder denkt er kann heutzutage im Bürobereich arbeiten. Der Unterschied ist, dass ich niemals so viel Verantwortung wie ein Coach hatte.

Versteht mich nicht falsch: Ich bin nicht grundsätzlich gegen Coachings, ich nehme auch selbst daran teil und lese Coaching-Bücher. Grundsätzlich finde ich es sogar positiv, wenn man sich Hilfe holt. Nur lasse ich mich nicht von Menschen coachen die weniger Ahnung haben als ich. Sprich: Ich schaue mir sehr genau an wer mich coacht und in welchem Bereich. Und wenn möglich schaue im Internet nach wie es mit der entsprechenden Qualifikation aussieht. Wie lange ist der Coach schon tätig? Worauf hat er sich spezialisiert? Kann man über die sozialen Netzwerke bereits etwas mehr über das Programm erfahren? Gibt es Youtube-Videos? Was sagen die Erfahrungsberichte anderer Teilnehmer?

Solltet ihr in Erwägung ziehen ein Coaching bzw. Training mitzumachen, achtet bitte sehr genau darauf ob die Trainer überhaupt qualifiziert sind bevor ihr viel Geld dafür ausgebt.

Dieser Artikel ist auch erschienen im Leipziger Handwerkskurier:

Lässt Du Dich noch coachen oder lebst Du schon?

 

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