jobfixiert

Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.

„Die sind doch faul, haben gar keine Lust zu arbeiten! Motivieren können sie sich auch nicht.“ Ich erwische mich selbst dabei wie ich voller Vorurteile bin gegen Arbeitslose. Bis ich selbst arbeitslos werde und anfange umzudenken.

Ein Donnerstagmittag, gegen 16:00 Uhr:

Meine Kollegin ruft mich in ihr Büro. „Ohje, was habe ich angestellt?“ Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch betrete ich das Zimmer. Es herrscht eine komische Stimmung, ernste Gesichter. „Wir müssen uns von Ihnen trennen.“ Ein Schlag ins Gesicht. Ich komme mir vor wie im falschen Film. Meint mein Chef das ernst? Er erklärt mir warum, verstanden habe ich es nicht. Als er mit seiner Ansprache fertig ist, unterschreibe ich, dass ich die Kündigung erhalten habe. „Das ist keine Einverständniserklärung.“ Einverstanden bin ich damit auch nicht. Als er das Zimmer verlässt kann ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. „Ich war auch schon in der Situation“ versucht mich meine Kollegin vergeblich zu beruhigen.

„Sie sind ab morgen freigestellt. Räumen Sie bitte Ihren Schreibtisch.“ Wie eine Schwerverbrecherin fühle ich mich. Warum werde ich freigestellt? Will er mich loswerden? Ich war wie in Trance. Wie konnte mir das nur passieren? Ich hatte doch gestern noch Lob bekommen für meine gute Leistung – sowohl von der Chefetage als auch von Kunden und Kolleginnen. Es fühlt sich so falsch an gehen zu müssen. Weinend und mit hängendem Kopf schlich ich zurück zu meinem Schreibtisch und räumte traurig, aber auch voller Wut meine Sachen zusammen. „Was ist passiert?“ fragte der Blick meiner Kollegin. Sie wird mir fehlen. Ich konnte nichts dazu sagen, meine Kehle war wie zugeschnürt. Meine unmittelbaren Kolleginnen wurden in das Büro des Chefs gerufen. „Jetzt erzählt er es ihnen.“

Keinen Moment länger wollte ich in dieser Firma bleiben, diese Firma die mich nicht mehr beschäftigen will. Bis 17:00 Uhr bin ich nicht geblieben. Verabschiedet habe ich mich nur von wenigen. „Schade, dass es so enden muss“, denke ich traurig und steige vollbepackt in den nächstbesten Bus nach Hause. „Zum Glück muss ich nicht mehr fahren in dem Zustand!“ Ich bekomme einen Anruf von einer ehemaligen Kollegin. Auch sie kann nicht glauben, dass ich nun weg bin. Alle sind geschockt, einschließlich mir. Am Tag danach sitze ich beim Arbeitsamt, meine Daten werden aufgenommen, ich bekomme unzählige Unterlagen mit. Den größten Teil davon verstehe ich beim ersten Lesen nicht. In den nächsten Tagen ziehe ich mich extrem zurück, verkrümele mich zuhause und will am liebsten niemanden sehen. „Du bist jetzt arbeitslos!“ hämmerte es in meinem Kopf. Meine Laune ist am Boden. Hatte ich mich nicht genug angestrengt? Hatte er Recht damit, dass der Job nichts für mich ist? Meine Gedanken wollten nicht aufhören darum zu kreisen.

Arbeiten zu gehen war für mich Zeit meines Lebens essentiell. Durch die Arbeit fühlte ich mich wichtig, gebraucht, konnte mich nützlich machen und helfen. Bei Gesprächen mit Kollegen und Freunden konnte ich mitreden, mitjammern. Ich war ein Teil des großen Ganzen. Jeden Morgen ging ich aus dem Haus, fuhr zur Arbeit und dort verbrachte ich 8 Stunden, manchmal auch länger. Für Freunde, Hobbies, Beziehung und Haushalt blieb manchmal wenig Zeit. Aber das war okay. Schließlich verdiente ich mein eigenes Geld. Und das schätzte ich, auch wenn ich wenig Zeit hatte es auszugeben. Es war mein eigenes hart verdientes Geld, ich hatte es mir verdient. Arbeit war für mich auch oft genug eine gute Ablenkung, wenn der Rest mal wieder nicht so lief wie ich es wollte. Viel zu oft hatte ich das Gefühl mich von privaten Problemen ablenken und auf andere Gedanken kommen zu müssen. Daran gedacht, dass ich irgendwann arbeitslos sein könnte habe ich nicht. Allein der Gedanke war sehr weit weg und früher hätte ich wohl müde darüber gelacht.

Nun sitze ich also zuhause, ohne Job, ohne Geld. Und das jeden Tag. Der Boden wurde mir unter den Füßen weggerissen, ich fühle mich so alleine wie nie zuvor. Kaum jemand fragt wie es mir in der Situation geht, viele melden sich gar nicht mehr. Haben sie Angst, dass ich jammere? „Ich will niemandem zur Last fallen.“ denke ich immer wieder. Dabei habe ich genug Freunde die für mich da sein würden. Auch sie haben ihr eigenes Päckchen zu tragen und so habe ich zunehmend das Gefühl, dass ich mit der Situation alleine klarkommen muss. Peinlich und unangenehm ist es mir auch, dass ich arbeitslos bin. „Ich bin viel zu gut ausgebildet um zuhause rumzusitzen!“ Perlen vor die Säue!

Aber es ist gerade in der Anfangszeit nicht nur die Arbeitslosigkeit die mir zu schaffen macht, ich muss mich um meinen Antrag auf Arbeitslosengeld kümmern und meine beiden ehemaligen Arbeitgeber lassen sich Zeit mit dem Ausfüllen des Dokumentes. „Das kann doch nicht so lange dauern!“ Zwei Monate lang lebe ich von meinem Ersparten. Immer und immer wieder frage ich nach wo die Dokumente bleiben. Es sind viele kleine Dinge die eine ganze Zeit lang dafür sorgen, dass nichts wirklich gut funktioniert.

Ich fühle mich nutzlos, mein Selbstvertrauen und mein strukturierter Tagesablauf sind zerstört. Regelmäßig fällt mir die Decke auf den Kopf. Wenn ich weiterhin so nichtstuend zuhause sitze werde ich noch wahnsinnig. Es braucht einige Wochen bis ich verstehe, dass ich dringend ins Handeln kommen muss. Ich gebe mir die nötige Zeit, versuche mich nicht zu sehr unter Druck zu setzen. Arbeitslos zuhause rumzusitzen empfinde ich als richtiges Sch***-Gefühl. Warum akzeptiere ich diesen Zustand? Trotz Geldmangel fahre ich in den bereits geplanten Urlaub. Es tut mir gut für ein paar Tage rauszukommen, etwas Neues zu sehen und zu erleben. Wieder zuhause probiere ich aus was sich für mich gut anfühlt. Ich stehe jeden Tag zu einer ähnlichen Uhrzeit auf, starte in den Tag indem ich meine Thermoskannen mit heißem Wasser befülle damit ich über den Tag verteilt Tee trinken kann und gehe jeden Tag zu einer ähnlichen Uhrzeit wieder ins Bett.

Ich versuche mich um mich selbst zu kümmern, mir selbst etwas Gutes zu tun. Ein strukturierter Tagesablauf ist ein großer Teil dessen. Wenn ich einmal am Tag das Haus verlasse um etwas draußen zu erledigen fühle ich mich besser. Es tut mir gut, wenn ich nicht den ganzen Tag in Flodderklamotten zuhause sitze. Meine Tages- und Wochenziele erreiche ich am besten, wenn ich diese auf einer To-do-Liste in meinem Kalender abhaken kann. So stelle ich sicher, dass ich alles erledigt habe. Jeden Tag bin ich auf dem Heimtrainer. Ausreden gelten nicht, ich habe schließlich mehr als genug Zeit. Der Sport tut mir gut, er hilft mir mit meiner Situation besser klar zu kommen.

Da ich es gewohnt bin meine Probleme alleine zu lösen handele ich auch dieses Mal danach. Ein nett gemeintes „wenn ich dir etwas helfen kann…“ hilft mir nicht weiter, zumal es sich oft genug als höfliche Floskel entpuppt. Die Leute die mir in meiner Situation wirklich helfen oder etwas Neues erzählen können sind selten. Jeder der schon einmal arbeitslos war denkt er weiß wie ich mich fühle. Ein paar Leute stoße ich vor den Kopf aus Unzufriedenheit, aber mit erklären und entschuldigen habe ich es wieder aus der Welt geschafft. Zum Glück stoße ich hier auf Verständnis. Helfen lassen war noch nie eine meiner Stärken, dennoch lasse ich Freunde und Familie über meine Bewerbungsunterlagen schauen und besuche mehrere Workshops in den Räumen der Agentur für Arbeit.

Erst seit ich zuhause bin fällt mir auf, wie sehr ich auf Leistung getrimmt wurde. Wollte ich nur meine Eltern stolz machen? Etwas zu tun zu haben finde ich nach wie vor wichtig. Eigenes Geld zu verdienen ist toll. Aber bin ich nur ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft wenn ich arbeiten gehe und Geld verdiene? Was ist mit all den Leuten die dies nicht tun? Beispielsweise Hausfrauen und Rentner: Sind sie weniger wert weil sie zuhause sind, kein eigenes Geld verdienen und vielleicht vom Staat unterstützt werden? Gerade wenn man einen Haushalt oder einen Garten besitzt gibt es fast immer etwas zu tun. Von den unzähligen (Allein-)Erziehenden fange ich gar nicht erst an.

Und was ist mit allen die ein Ehrenamt inne haben? Gerade diese helfenden Hände sind unheimlich wichtig für unsere Gesellschaft. Niemand würde jemals behaupten, dass diese Menschen weniger wert sind. Im Gegenteil: Sie haben eine Aufgabe, sie werden gebraucht. Sie werden nicht bezahlt dafür, dass sie helfen. Sie tun es freiwillig. Sie tun Gutes ohne etwas dafür zu verlangen. Und das alles oftmals zusätzlich zu ihrem eigentlichen Job. Hut ab!

Wird von mir als arbeitender Mensch erwartet, dass ich mich kaputt arbeite? Wenn ich so hart arbeite, dass ich daran zerbreche, Burnout bekomme oder depressiv werde hat niemand etwas davon, am wenigsten ich. Faul sein ist in unserer Gesellschaft völlig zu Unrecht verpöhnt, dabei wäre es so wichtig sich auch mal das Faulsein zu gönnen. Bewusst nichts zu tun für eine Zeit. Es ist wichtig Auszeiten einzuplanen – und ich meine damit nicht den Jahresurlaub während man sich die anderen 46 Wochen im Jahr den Allerwertesten aufreißt um allem gerecht zu werden. Vielleicht störe ich mich auch nur an dem Wort „faul“ ansich. Es ist eher negativ behaftet während „nichts tun“ für mich positiver klingt.

Bin ich weniger wert wenn ich arbeitslos bin? Und wie kann überhaupt ein Zustand für den ich nichts kann meinen Wert bestimmen? Nach wie vor bin ich chaotisch, freundlich zu anderen, helfe wo ich kann, habe Spaß am Musik hören, Filme schauen. Insofern habe ich mich nicht verändert. Ich bin kein besserer oder schlechterer Mensch geworden nur weil ich arbeitslos geworden bin. Meine Verantwortung für meinen Besitz, meine Meerschweinchen und die Verantwortung für mich habe ich nicht an der Schwelle zur Arbeitslosigkeit abgegeben. Nach wie vor habe ich das Recht zu wählen, muss mich um meine Dinge kümmern damit sie laufen, ich bin ein vollwertiges Mitglied dieser Gesellschaft. Genauso wenig habe ich meinen Selbstwert abgegeben. Was sich aber verändert hat ist meine Art zu Denken. Es ist vielleicht die wichtigste Erfahrung die ich jemals gemacht habe, aber auch die schwerste. Ich sehe trotz der unschönen Umstände auch die positive Seite: Jetzt habe ich die Zeit die ich seit über 6 Jahren vermisse.

Unzählige Male höre ich: „Was machst du eigentlich den ganzen Tag zuhause? Ist das nicht langweilig?“ Es ist eine Tatsache, dass ich die meiste Zeit zuhause bin, das bedeutet allerdings nicht, dass ich untätig herumsitze und vor mich hin vegetiere. Im Gegenteil: Beschäftigen kann ich mich sehr gut alleine. Wenn ich alles wichtige abgearbeitet habe suche ich mir neue Aufgaben, Dinge die ich verbessern kann. Es fängt an beim Klamotten ausbessern wenn sie löchrig sind und hört auf bei meinem Blog. Auch Aufräumen ist ein ständiger Punkt auf meiner „to-do-Liste“. Zu tun habe ich dadurch immer etwas. Es gibt zudem einige Filme die ich mir ansehen und Bücher die ich lesen möchte.

Versteht mich nicht falsch, ich möchte das Thema keinesfalls verharmlosen, auch ich suche weiterhin einen Job. Auch Selbstständigkeit ist mittlerweile ein Thema. Genug Berufserfahrung habe ich. Aber bis es soweit ist, komme ich zumindest sehr viel besser mit der Situation zurecht. Und diesen Zustand empfinde ich als erstrebenswert.

Ich wünsche allen die gerade in einer ähnlichen Situation sind viel Kraft. Arbeitslosigkeit kann jeden treffen. Immer und überall. Nutzt eure Unzufriedenheit als Antrieb, lasst euch nicht hängen. Ihr seid nicht allein.

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