Warum du deine Makel lieben solltest.
Naja, okay. Es reicht eigentlich schon, wenn du deine Makel einfach nur magst. Aber was ist überhaupt ein Makel? Das kann alles Mögliche sein: angefangen mit einer Narbe, einer krummen Nase bis hin zur körperlichen Einschränkung. Alles was einen Menschen von anderen unterscheidet. Und Schönheitsideale gibt es viele. Sehr viele. Unheimlich viele. So ist es in anderen Kulturen „schön“, wenn die Frau einen möglichst langen Hals hat. Aber bleiben wir bei unserer Kultur und unserem Schönheitsbild: makellose Haut, sonnengebräunt, modebewusst, schlank, fit. Gibt es da überhaupt nur ein bestimmtes Idealbild?
Die Antwort lautet: Nein, es gibt zahlreiche Schönheitsideale. Und viele widersprechen sich. Ist jetzt sonnengebräunt schön oder vornehme Blässe? Modebewusst oder individuell? Schlank oder weiblich? – und warum eigentlich „oder“?
Warum muss man sich „entscheiden“ was schön ist? Es gibt so viele unterschiedliche Formen und Arten von Schönheit, wieso sich einschränken lassen?
Nach wie vor bin ich auch der Meinung, dass man nicht alles glauben sollte was man im Internet sieht. Wer bearbeitet denn heutzutage nicht seine Bilder? Filter, Bildbearbeitung, Belichtung ändern, Kontrast hochsetzen, das alles macht Einiges aus. Und natürlich ist auch die Pose, Lichteinfall und eine entsprechende Körperspannung sehr wichtig.
Bei diesem Bild von mir könnte man auch meinen es sei schön. Die Wahrheit ist, dass es mich viel Mühe gekostet hat so zu posieren, dass meine Beine nicht zu voluminös wirken und das Bild dennoch einigermaßen gut aussieht. Es ist nicht alles Gold was glänzt.
Meine Geschichte.
Schon in der Schule war ich nicht die Schönste und hatte auch von Anderen gehört, dass sie das dachten. Die Schönste sein wollte ich auch nicht. Mir war wichtig, dass ich meiner selbst wegen gemocht wurde, also lief ich mit fettigen Haaren und altmodischen Klamotten herum. Unsportlich war ich schon immer, Zahnspange und Brille machten meine Beliebtheit nicht besser. Ich mochte meine Beine nicht, auch nicht meine Arme oder mein Gesicht, ich mochte nicht wie ich rumlief, hatte aber auch keine Idee wie ich das ändern konnte. Immer und immer wieder fand ich meinen Körper schrecklich, hasste mich für meine unreine Haut.
Freunde hatte ich während meiner kompletten Schulzeit nur wenige. Jungs interessierten sich nicht für mich. (Heute würde ich mir das manchmal wünschen!) Manchmal kam ich mir fast unsichtbar vor – und irgendwie war ich das auch. Aufgefallen bin ich nicht, schon gar nicht positiv. Das klassische hässliche Entlein, könnte man sagen.
Den Tiefpunkt meiner Schulzeit erreichte ich, als ich Mobbingemails von einer anonymen Emailadresse, die eigens um mich herunter zu machen angelegt wurde, bekam. Darin stand ich wäre ungepflegt, solle häufiger Haare waschen und meine Haare blond färben, das stünde mir besser. Wer steckt so viel Zeit und Mühe in sowas Negatives? Die Antwort erhielt ich einige Monate später: Die Emails kamen u.a. von meiner damaligen besten Freundin. Zumindest habe ich sie für meine beste Freundin gehalten. Die Enttäuschung war so enorm, dass ich 8 Jahre brauchte bis ich zum ersten Mal wieder mit ihr gesprochen habe. Ein Stück weit hatte sie sogar Erfolg mit ihren Mobbingmails: Ich achtete mehr auf mein Äußeres als vorher. Aber ich hatte auch Angst und war extrem verunsichert dadurch.
Zwei Jahre nach meinem Realschulabschluss – während meiner Berufsausbildung – fing ich langsam an andere Klamotten zu tragen und umzudenken. Ich passte mich immer mehr an, zumindest äußerlich. Innerlich bin ich nach wie vor das kleine rebellierende Mädchen, das für sein Inneres/seinen Charakter gemocht werden will. Schminken hatte ich mit Hilfe von Youtube schnell gelernt. Männliche Wesen fingen an sich für mich zu interessieren, sie wurden auf mich aufmerksam. Mit dem plötzlichen Interesse umgehen konnte ich nicht.
Von einem meiner Exfreunde musste ich mir – als ich auf der Suche nach einem Therapieplatz war – sagen lassen, ich solle meine Essstörung mitbehandeln lassen. Ein Schlag ins Gesicht. Kalorien zählen, Diäten machen, Ernährungsberatung besuchen – all das habe ich nie. In meinem ganzen Leben hatte ich niemals eine Essstörung, auch wenn ich zugeben muss, dass ich schon immer wählerisch bin. Aber das sind Veganer auch – haben die jetzt auch alle eine Essstörung?! Wohl kaum. Und seit wann muss man sich überhaupt rechtfertigen für das was man gerne isst und was nicht?
Enttäuscht wurde ich aber nicht nur einmal von besagtem Exfreund: Das Bild von meinem früheren Ich (siehe unten) hatte ich ihm gezeigt, weil ich keine Geheimnisse haben wollte – er fragte ob ich das wirklich sei und meinte er sei froh „nicht mit dieser Version von mir zusammen zu sein“. Was für ein A*********! Innerlich bin ich immer noch dieselbe Person wie damals. Es verletzte mich sehr, dass er so dachte. Das sind Äußerungen die in mir arbeiten und mir ein schlechtes Gefühl geben. In einer Beziehung hätte ich mir etwas mehr Einfühlungsvermögen gewünscht. Es war also nicht verwunderlich, dass die Beziehung irgendwann in die Brüche ging – und wohl auch besser so.
Aber wie gesagt: Innerlich bin ich heute noch das rebellische Mädchen, das wegen seines Charakters gemocht werden möchte und nicht wegen seines Äußeren. Blöd nur, dass man heutzutage viel zu oft auf das Äußere reduziert wird. Ich bin so viel mehr als nur mein Äußeres!
Vielen geht es gar nicht in den Kopf wie ein äußerlich hübscher Mensch so sehr mit sich hadern kann, so voller Selbstzweifel steckt. Aber warum sollten hübsche Menschen davor verschont bleiben? Warum soll es ihnen anders gehen? Das Streben nach Perfektion, Bestätigung, dem Gefühl geliebt zu werden macht vor Niemandem halt. Außenstehende vermuten oft, dass es hübsche Menschen leichter haben im Leben, mehr Chancen bekommen – auf was auch immer. Aber ist das wirklich so? Werden sie nicht viel eher belächelt?
Vor ein paar Monaten habe ich mich mit einer langjährigen und guten Freundin über das Thema Figur unterhalten, es war für mich fast ein Schock als sie meinte „Ich hätte gerne deine Figur.“. Meinte sie mich? Noch nie war mir das vorher passiert. Anstatt einfach „Danke“ zu sagen und mich darüber zu freuen, zählte ich Gründe auf, warum meine Figur nicht perfekt ist. Ein Zeichen dafür, dass ich meinen Körper immer noch nicht so liebe wie er ist? Dabei habe ich so viele Gründe dankbar zu sein für diesen Körper. Er hat so unzählig viele Dinge bereits überstanden, mich an so tolle Orte und zu so tollen Menschen gebracht.
Sicherlich ist mein Körper auch nicht perfekt, mein BMI z.B. zeigt mir neuerdings, dass ich übergewichtig bin. Gnadenlose 1,4 kg bin ich über dem „Normalgewicht“. Aber der BMI ist auch nur eine Richtlinie, das Wohlfühlgewicht empfinde ich als wesentlich wichtiger. Das was du selbst an dir vielleicht als Makel empfindest kann für andere unglaublich schön sein. In jedem Fall macht es dich einzigartig, unverwechselbar und auf deine Weise schön. Und genau deswegen solltest du deine Makel feiern und stolz auf sie sein. Du bist schön! Vergiss das nie.
Der Vollständigkeit halber teile ich mit euch meine „Verwandlung“ auch als Bild. Es ist ein komisches Gefühl das Bild anzusehen. So bin ich tatsächlich rumgelaufen – heute unvorstellbar.
Aber warum teile ich das alles mit euch? Nun…
Mit dieser – meiner! – Geschichte im Gepäck saß ich also am vergangenen Donnerstag im Kino. Mittlerweile unternehme ich zwar vieles alleine, dennoch war es auch für mich eine Premiere. Zum ersten Mal war ich ohne Begleitung im Kino und zum ersten Mal ohne Popcorn oder Getränk. Ablenkung schien mir nicht angemessen. Embrace. Originalfilm mit Untertitel – das lässt auch keinerlei Ablenkung zu, wenn man alles mitlesen möchte. Unmittelbar rechts und links neben mir fielen mir zwei Frauen auf die ebenfalls alleine den Film besuchten. Interessehalber zählte ich die Männer die im selben Kinosaal waren. Es waren genau 7. S-i-e-b-e-n. Alle waren in weiblicher Begleitung. Interessiert das Thema wirklich so wenige Männer? Sind diese Männer vielleicht gezwungen worden mitzugehen? Wenn ich an meinem Freundes- und Bekanntenkreis denke, weiß ich von einigen Männern, dass sie auch nicht mit sich selbst zufrieden sind und nicht glücklich mit ihrem Körper. Ist es als Mann vielleicht uncool diesen Film anzusehen? Man könnte ja gesehen werden.
Auf die mehr als 20-minütige Werbepause hätte ich vor einem Film wie diesem gerne verzichtet. Auch der Eismann hätte nicht sein müssen. Schließlich war ich nur dort um den Film zu sehen. Diesen Film auf den ich mich seit zwei Wochen freue. Und ich wurde nicht enttäuscht. Die Dokumentation machte mir nochmal deutlich wie viel Mühe darin steckt, wie viel Aufwand, wie viel Liebe. Für mich ist es immer wahnsinnig spannend die Geschichten anderer Menschen zu hören. Das Thema Bodyshaming stößt anscheinend nicht nur bei mir auf sehr große Zustimmung. Es ist erschreckend wie vielen Leuten es genauso geht oder bereits gegangen ist.
Da waren sie also – diese ganzen Frauen die alle ihre eigene Geschichte haben. Jede auf ihre Art. Wie viel Mühe es sie gekostet hatte darüber offen zu reden vor Kameras konnte ich nur ahnen. Einigen sieht man ziemlich an wie sehr das Thema sie belastet und wie sehr sie kämpfen müssen. Mich hätte es auch unheimlich viel Mühe gekostet darüber zu reden. Aber es auszusprechen kann auch ein guter Weg sein das Erlebte zu verarbeiten, zu testen wie die anderen darauf reagieren. Und vielleicht bekommt man durch die Reaktionen auch ein Stück weit verlorenes Selbstbewusstsein zurück.
Die Dokumentation beleuchtet die Themen Schönheit, Bodyshaming und Schönheitsideale von allen möglichen Seiten, was dem Film einen unglaublichen Mehrwert verleiht. Wann kommt man schon mal mit Menschen in Kontakt die so unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben? Wahrscheinlich nie, wenn man nicht gezielt danach sucht.
Gegen Ende berührt mich der Film so sehr und erinnert mich an meine eigene Körpergeschichte, dass mir die Tränen kommen. Der Abspann läuft – die Kinobesucher klatschen, ich auch. Ein rundum gelungener Film und ich bin unheimlich froh, dass ich die Chance genutzt habe ihn mir anzusehen. Etwas schade finde ich lediglich, dass der Film für Frauen und Männer sein soll, aber viel zu wenig Männer etwas zu den Themen beigetragen haben.
Jeder hat seine eigene Körpergeschichte und bevor man die Geschichte eines Menschen nicht kennt sollte nicht geurteilt werden.
Meinen Weg bin ich trotz Hindernissen gegangen – oder vielleicht gerade deswegen?
In den letzten Jahren habe ich noch nie so viel Hass und Beleidigungen gegen andere Menschen mitbekommen. Das Internet macht es einem hier besonders leicht (anonym) zu hetzen und zu beleidigen. Aber ich habe auch noch nie so viel Toleranz erlebt und Leute die sich für Andere einsetzen. Es gibt keine bessere Zeit als jetzt wenn es um Individualität und das Ausleben derselben geht.